Musiktheater im Revier Gelsenkirchen


Premiere: 2.11.2003 | Musical

Anything Goes

Cole Porter/Diverse

Stückinfo

Eine Ansammlung von Seifenblasen Während der Probenarbeit zu Anything Goes sprach Dramaturgin Wiebke Hetmanek mit dem Regisseur Stefan Huber Du hast eine Ausbildung zum klassischen Schauspieler absolviert. Dein erstes Engagement führte Dich an das Stadttheater Aachen, wo Du u.a. den Hamlet gespielt hast. Wie bist Du zum Musical gekommen? - Ich bin mit Musik aufgewachsen. Mein Vater ist privat ein hervorragender Pianist, wir haben alle musiziert, ich habe viel im Chor gesungen und eine eigene Jazzband gehabt. Die Nähe zur Musik war also von Anfang an gegeben. Den Gedanken an ein Musikstudium habe ich aber schnell fallen gelassen, nach diszipliniertem Üben stand mir nicht der Sinn. Schon während des Studiums hat mich die Unterteilung in U und E genervt, die leichte Muse war verpönt, und ich musste mir die Erlaubnis erkämpfen, Musical spielen zu dürfen. Zum professionellen Musical kam ich eher durch Zufall. Ich begleitete einen Freund nach Wien zur Audition von Les Misérables und sang dort ebenfalls vor, weil ich damals jede Möglichkeit zum Vorprechen wahrgenommen habe. Ich wurde prompt engagiert und habe so die Chance gehabt, das Genre von Innen kennen zu lernen und mir das Know-how der Großshows anzueignen. Als Schauspieler wirst Du danach von vielen Theaterleuten nicht mehr ernst genommen. Auch nicht als Regisseur, aber das ärgert mich heute nicht mehr. Ich mache 90 Prozent meiner Inszenierungen im Musicalbereich und weiss, wie schwierig das Genre ist und welche Knochenarbeit es erfordert. - Worin liegt die Schwierigkeit? - Zum einen natürlich in einer Tatsache, die zugleich auch das Faszinierende am Musical ist, dass hier drei Sparten zusammenkommen: Gesang, Tanz und Schauspiel. Wenn diese einzelnen Elemente zusammen verschmelzen, nahtlos ineinander übergehen, dann hätte man das Optimum erreicht. Zum anderen ist das Musical eine uramerikanische Gattung, die der deutschen Mentalität eher widerspricht. Sie kommt u.a. aus dem amerikanischen Vaudeville, bei dem ein Witz um des Witzes Willen gemacht werden darf ungeachtet der inhaltlichen Logik. Diese Art des Humors, des Slapsticks, des Timings ist für uns sehr schwer nachzuvollziehen, weil wir nicht mit ihr aufgewachsen sind, sondern sie erst erlernen müssen. Es gibt eine richtige Unterhaltungskultur in Amerika, die hier zu Lande oftmals als oberflächlich, aufgesetzt und künstlich kritisiert wird - aber unsere Medien eifern diesem Vorbild dennoch nach und, mal ehrlich, heimlich gucken wir dann doch die Oscar-Verleihung oder Ähnliches. Wir müssen diesen Dünkel abschalten, wenn wir Musicals ebenso brillant wie die Amerikaner machen wollen. Anything Goes ist dafür ein gutes Beispiel. Ehrlich gesagt gibt es Stücke, die bezüglich Inhalt und Substanz weitaus interessanter sind. Bei Anything Goes darf man den Kopf mit gutem Gewissen auch mal ausschalten, man sollte sich nicht schämen, sich dem Nonsens hinzugeben. Die Story ist voll von Einfällen, die wahrscheinlich spontan während der Uraufführungsproduktion entstanden sind und manchmal eben auch der logischen Grundlage entbehren. Es gibt ein relativ grosses Rollen-Personal, aber viele Figuren werden nur angerissen. Es ist eine Ansammlung von Seifenblasen, eher ein Strudelbad als eine Handlung, die uns tief berührt. Unser Ziel ist es also einfach, Spass am Nonsens zu entfachen. Die Frische und Frechheit, die Cole Porters Musik immer noch atmet, sollte auch der Motor der Dialogszenen sein. Ich habe sehr viel Spass damit, und auch für die Darsteller ist es eine willkommene Gelegenheit, einfach mal die Sau rauszulassen. - Viele der am Stadttheater gespielten Musicals stammen aus den 20er und 30er Jahren. Sind diese Geschichten, diese Songs, die teilweise gespickt sind mit zeitgenössischen Anspielungen, heute überhaupt noch nachvollziehbar? - So eine Frage würde man bei einer Oper nie stellen. Man kann doch auch einen Rigoletto geniessen, wenn man nichts von Victor Hugo, Franz I. oder Verdis Auseinandersetzung mit den Zensurbehörden weiss. Beim Musical setzt man immer voraus, dass es sowieso keinen Anspruch gibt. Aber die Macher von damals, gerade auch Cole Porter, waren äusserst intelligente Menschen. Und wie in der Oper gibt es auch im Musical über den sinnlichen Genuss hinaus einen intellektuellen Genuss, wenn man den Hintergrund kennt und Anspielungen versteht. - Die Musicalproduktionen in Stadttheatern nehmen in den letzten Jahren immer mehr zu, verdrängen teilweise sogar die Operette aus den Spielplänen. Dabei bleibt das Repertoire doch sehr beschränkt auf die Klassiker des Broadways. Stört Dich das, zumal Du ein erklärter Sondheim-Fan bist, der bis dato eher selten gespielt wird? - Es ist natürlich schade, aber durchaus logisch. Im Gegensatz zu den USA gibt es in Deutschland erst seit den 80er Jahren ein echtes Bewusstsein für die Gattung. Wir haben einen grossen Nachholbedarf und müssen quasi von vorn beginnen, z. B. mit Porter oder Gershwin, um dann die Entwicklung der späteren Werke nachvollziehen zu können. Auch ein Sondheim wäre ohne die grossen Vorgänger nicht möglich gewesen. Wenn die Grundlagen dann bekannt sind, kann man auch die neueren oder unbekannteren Werke spielen. Was allerdings fehlt, ist eine spezifisch deutsche Musicaltradition. Die Anfänge waren eigentlich schon vorhanden, ich denke da an die 20er Jahre, die Berliner Operette. Es scheint hier aber heute an Kreativen zu fehlen, also Komponisten, Songtexter, Autoren, die speziell für diese Gattung schreiben und die deutsche Tradition mit den Erfahrungen der amerikanischen Musicals zusammenführen. Ein Projekt wie das Schalke-Musical hier in Gelsenkirchen geht in die richtige Richtung, und ich würde mir wünschen, dass es noch mehr solcher Unternehmungen geben würde. - Vielen Dank für das Gespräch - (Entnommen dem Programmheft zu Anything Goes - Musiktheater im Revier, Gelsenkirchen)

Kreativteam

Inszenierung: Stefan Huber
Musikalische Leitung: Kai Tietje
Choreographie: Markus Bühlmann
Bühnenbild: Harald Thor
Kostüme: Susanne Hubrich
Lichtdesign: Helmut Justus
Sounddesign: Marc Schneider-Handrup

Cast

mit Anke Sieloff/Maryanne Kelly, Gaines Hall, Regine Hermann, Sabine Schreittmiller, Jochen G. Maaß, Urs Affolter, Horst Krebs/Andreas Windhuis, Eva Tamulénas/Birgit Brusselmans, Eric Minsk, Georg Hansen, Christopher Dietz, Till Nau, Sean Stephens, Frank Wöhrmann, Eun-Yong Kim, Si Jae Lee, Klaus-Jürgen Gehnke, u.a.

Szenenfotos






Pressestimmen

Stefan Keim, WDR 3

"(...) Der Regisseur Stefan Huber hat jede Szene mit enorm vielen komischen Details angereichert und hält drei Stunden lang das Tempo einer echten screwball comedy. Manchmal kommt man sich vor wie im Kino, so schnell geht alles. Besser kann man kein Musical machen, gross beworbene Konkurrenz wie die "Aida" in Essen deklassiert Gelsenkirchen mühelos. (...) "

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Bernd Aulich, Buersche Zeitung

"(...) So brillant wie dem Musiktheater im Revier glückt deutschen Bühnen das typisch amerikanische Genre der Musical-Comedy nur allzu selten. (...) Der Schweizer Regisseur Stefan Huber entfacht ein Feuerwerk pointenreicher Showeffekte, gespickt mit hintergründigen Anspielungen. Nicht einen Augenblick lang stellt sich Langeweile ein. (...)"




Thomas Tillmann, Online Musik Magazin (www.omm.de)

"(...) Spiritus rector der vergnüglichen Ozeanreise war zweifellos Regisseur Stefan Huber (...) Besonders hervorzuheben sind die straffen, temporeichen Dialoge mit ihren wirklich witzigen Pointen, die unverkrampft in die Handlung integrierten Tanzsequenzen, aber auch die romantischen, liebevoll ironisch gebrochenen Szenen (...)"




HJL, Westfälische Allgemeine Zeitung

" (...) Mit Ehrgeiz und grosser Professionalität (...) behauptet sich das MiR als wirkliche Musicalhochburg. (...) Wenn man bedenkt, mit welch' bescheidenen finanziellen Mitteln das Institut auch in diesem eigentlich aufwändigen Metier arbeitet, dann liegt ein Begriff wie "spektakuläre Sensation" schon nahe. Denn fast alles stimmt an dieser Überfahrt (...) : die tänzerische Rasanz, die musikalische Stimmigkeit, die Selbstironie der Figuren, der dialogische Wortwitz, das Zitieren von Filmen, Songeinlagen und das Timing der Slapstick-Komik. Mal deftig, mal poetisch angehaucht - Hubers Gagfabrik schnurrt und findet meist die passende Pointe. Ein Pointenfeuerwerk prasselt auf das bestens amüsierte Publikum ein. (...)"